Wien, 9. August 2023

Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf der Bauordnungsnovelle 2023

 

Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf der Bauordnungsnovelle 2023

© Melinda Nagy

 

Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes, mit der die Bauordnung für Wien, das Wiener Kleingartengesetz 1996 und das Wiener Garagengesetz 2008 geändert werden (Bauordnungsnovelle 2023) zu den Themenbereichen Nachhaltigkeit und Digitalisierung

 

Stellungnahme

 

Die Verbände IG Lebenszyklus Bau, Digital Findet Stadt, Facility Management Austria (FMA), Vereinigung Österreichischer Projektentwickler (VÖPE), Verband der ZiviltechnikerInnen und Ingenieurbetriebe (VZI) sowie die Ziviltechnikerkammer Wien, Niederösterreich und Burgenland stehen für eine nachhaltige und digitale Bau- und Immobilienwirtschaft in Österreich.

 

Die Einführung von rechtlichen Innovationen und die Einhaltung gewisser Mindestanforderungen in Punkto Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Wiener Bauordnung ist den oben genannten Verbänden und Institutionen, die zahlreiche Unternehmen aus den Bereichen Planung, Errichtung, Finanzierung sowie Betrieb von Gebäuden und Infrastruktur vertreten, daher ein großes Anliegen.

 

In einem gemeinsamen Beurteilungsprozess wurden folgende Kritikpunkte in Bezug auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeits- und Digitalisierungskriterien in der Wiener Bauordnungsnovelle 2023 festgestellt:

 

1. Fragen der Dekarbonisierung, des Klimawandels und der Kreislaufwirtschaft werden offengelassen

 

Bei Neubauten entfallen rund zwei Drittel der CO₂-Emissionen auf die Herstellung der Gebäude. Um den Zielpfad der CO₂-Neutralität am Gebäudesektor 2040 gemäß dem Wiener Klimafahrplan zu erreichen, ist es unumgänglich, auch die Bauordnung an diese Herausforderung unverzüglich anzupassen.

 

1.1.      Eine Dokumentationspflicht von Gebäuden bei Neubauten und Bestandssanierung mittels – digitaler – Gebäudedokumentation (inkl. Angaben zu Umweltauswirkungen, Rückbaubarkeit, Wiederverwendungs- und Recyclingpotenzial) zur Umsetzung einer werthaltigen Kreislaufwirtschaft und möglichen Kreislaufführung der verbauten Roh- und Baustoffe sowie Bauteile, ist im Entwurf der Bauordnungsnovelle nicht enthalten.

 

1.2.      Anforderungen oder auch nur eine Dokumentationspflicht der wichtigsten Ökoindikatoren und (z.B. GWP, PENRT, AP) für Neueinreichungen sind in der Bauordnungsnovelle nicht enthalten. Diese Indikatoren sollten im Rahmen einer Lebenszyklusanalyse (LCA) hinterlegt werden. Durch eine LCA können, bei Vorgabe der richtigen Randbedingungen, auch Fragen der Dauerhaftigkeit sowie des Gebäudebetriebs sinnvoll beantwortet werden. Die Bewirtschaftung von Bauwerken und die Lebenszyklusphase Betrieb wird nur in äußerst geringen, fragmentierten Teilaspekten berücksichtigt. Es ist erforderlich, dass der Gebäudebetrieb über die Aspekte Instandsetzung und Energieverbrauch hinaus eine seiner Tragweite angemessene Adressierung findet.

 

1.3.      Anforderungen hinsichtlich des Recyclings/ReUse, z.B. Quoten für Recycling/ReUse im Falle des Abbruchs fehlen vollständig. Auf das Fehlen solcher Konzepte, auch im Entwurf der OIB7, wird verwiesen.

 

1.4.      Festgestellt wird, dass Fragen der Bodenversiegelung zu wenig berücksichtigt werden.

 

1.5.      Die derzeitigen Vorschriften zur Errichtung von Energieträgern berücksichtigen ausschließlich Fragen der Energieerzeugung am Gebäude bzw. am Grundstück.

Um die Energiewende erforderlich und zeitnah zu bewerkstelligen, ist die Stadt als ganzheitliches System zu betrachten. Gebote der Energieerzeugung am Gebäude müssen durch Gebote, Energie auch im öffentlichen Raum zu speichern, ergänzt werden. Damit einhergehend sind auch Alternativen zur PV-Anlage, wie die Nutzung von Geothermie, neu zu bewerten.

 

1.6.      Die derzeitige Entwicklung von Strategien, Systemen und Technologien ist noch nicht abgeschlossen. Im Sinne des „gleichwertigen Abweichens“ von den OIB- Richtlinien, sollte es einen „Abwägungsparagraphen“ geben, der neue Entwicklungen nicht nur nicht behindert, sondern auch fördert und hervorbringt.

 

2. Unvollständige Rahmenbedingungen für Bestandssanierungen durch neuen Stadtbildschutz

 

Die derzeitigen Vorschläge in der Bauordnungsnovelle greifen zu kurz, um Bestandssanierungen in jenem Umfang zu befördern, der angesichts unserer Klima- und Umweltziele angebracht wäre. Eine Weiterentwicklung des Bestandes wäre nicht nur aus Gründen der Ressourcenschonung wünschenswert, sondern ermöglicht in vielen Fällen erst den wirtschaftlichen Erhalt der historischen Bauwerke.

 

2.1.      In der Novelle werden durch eine völlig neue Systematik im Stadtbildschutz die qualitätsvolle Weiterentwicklung und die sanfte Nachverdichtung des Bestands aufs Spiel gesetzt. Insbesondere werden die bisherigen Bestimmungen (Bebauungsplan/Schutzzonen, Erhalt von erhaltungswürdigen Altbauten) durch eine sehr unbestimmte Regelung des „vorhandenen Stadtbildes“ als neuen Maßstab ergänzt und teilweise ersetzt. Durch das offenbar intendierte Einfrieren eines „vorhandenen Stadtbildes“ könnte – vor allem durch den neuen Bezug auf den Stadtbildschutz im § 69 – die dringend zu fördernde Sanierung des Bestands auf der Strecke bleiben.

 

2.2.      Es fehlt an klaren Regeln und Richtlinien, was im Rahmen dieses „vorhandenen Stadtbildes“ möglich ist, und was nicht. Der Ermessensspielraum der Behörde ist enorm hoch. Wir benötigen vor einer solchen Neusystematik des Stadtbildschutzes transparente und öffentliche Kriterien, nach welchen Ensembles, Gebäude oder deren Teile als für das Stadtbild erhaltungswürdig und nicht erhaltenswürdig eingestuft werden, um mehr Planbarkeit für Bauwerber:innen und Planer:innen herzustellen.

 

2.3.      Es gilt außerdem, mehr Anreize zu setzen, um die Weiterentwicklung von Bestandsimmobilien attraktiver zu machen, z.B. durch unbürokratische Möglichkeiten zur sanften Verdichtung bei Erhalt von Gebäuden statt dem in letzter Zeit zunehmendem Abbruch und Neubau. Der neue Abs. 2 Z 5, mit welchem der § 69 in Richtung „Klimaparagraph“ weiterentwickelt wird, ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung, kann aber nicht der letzte sein.

 

2.4.      Der Schutz von Bestandsimmobilien sollte auf die Schonung von Ressourcen in Form einer Lebenszyklusbetrachtung, und weniger auf das Errichtungsjahr, abgestellt werden. Der Schutz von Bestandsimmobilien könnte zum Beispiel auf alle Gebäude angewendet werden, bei denen eine Einhaltung der EU-Taxonomie-Vorgaben mit wirtschaftlich und technisch verträglichen Mitteln erreicht werden könnte.

 

3. Die Bauordnungsnovelle ist als Grundlage für ein nachvollziehbares und widerspruchsfreies Genehmigungsverfahren ungeeignet

 

Die mit der Bauordnungsnovelle neu geschaffenen Regelungen erhöhen den Planungs- und Verwaltungsaufwand. Außerdem sind vermehrt Zielkonflikte zu erkennen. Durch die Anforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, finden sich durch die gewachsene Struktur der Bauordnung Widersprüchlichkeiten und Redundanzen. Damit wird die Rechtssicherheit geschwächt. Sie ist in der vorliegenden Form auch für ein auf weitgehende Digitalisierung ausgelegtes Verfahren ungeeignet.

 

Die Bauordnung braucht daher eine grundsätzliche Neukonzeption im Sinne einer Vereinfachung, eindeutiger Bestimmungen ohne Interpretationsspielraum und der Festlegung klarer Grenzwerte.

 

Wir danken für die Berücksichtigung unserer Stellungnahme!

 

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Die Verbände