Wien, 8. Februar 2022

Interview: Herausforderungen und Chancen der EU-Taxonomie

Die Planungs- und Baubranche steht vor großen Herausforderungen. Die mit der EU Taxonomie eingeläutete „Ökologisierung der Kapitalflüsse“ führt dazu, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz von einer Option zu einem Muss wird. Mit dem ambitionierten Zeitplan der EU mithalten können dabei nur diejenigen, die heute bereits informiert sind und eine Transformation der Bauprojekte im Auge haben. Das gilt insbesondere für die Planungsbüros der Baubranche. Das Interview im Vorfeld des VZI PolitTalks zur EU Taxonomie am 22. Februar mit Magdalena Quell (Raiffeisen Capital Management) und Stefan Sengelin (Bundesministerium für Klimaschutz) führte Sven P. Jakobson.

 

Magdalena Quell ist Projekt- und Produktmanagerin der Raiffeisen Capital Management. Ihr Fokus liegt auf dem Themenbereich Nachhaltigkeit. Sie ist zertifizierte Finanzanalystin (CIIA) und hat ihre Expertise im Bereich ESG erweitert (PRI Academy). Stefan Sengelin ist stellvertretender Leiter der Abteilung ‚Grüne Finanzen und nachhaltige Wirtschaft‘ im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie und Experte für europäische Angelegenheiten, wie etwa den EU Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums und die Taxonomie Verordnung. Im Interview sprechen beide Expert*innen über die weitreichenden Konsequenzen der Taxonomie-Verordnung.

 

Herr Sengelin, bei der Taxonomie-Verordnung geht es darum, die Kapitalflüsse nachhaltiger zu gestalten. Wie genau soll dies erreicht werden?

 

Der Finanzsektor ist ein zentraler Hebel zur Erreichung unserer Klimaziele. Im Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Neuausrichtung der Kapitalströme auf eine ökologisch nachhaltigere Wirtschaft ist die Taxonomie-Verordnung ein wesentlicher Bestandteil. Sie stellt einen wichtigen Schritt bei der Verwirklichung der Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 dar.

 

Unternehmen und Investor*innen erhalten mit der EU-Taxonomie ein einheitliches Klassifizierungssystem, das ihnen genau sagt welche wirtschaftlichen Tätigkeiten ökologisch nachhaltig sind. Gleichzeitig soll die EU-Taxonomie Anleger*innen dabei helfen, umweltfreundliche Finanzprodukte auszuwählen, wie einen nachhaltigen Wertpapierfonds oder eine grüne Versicherung. Außerdem kann durch die Klassifizierung Greenwashing verhindert werden – Unternehmen können ihre Produkte also nicht mehr als grün bezeichnen, wenn sie nicht die Anforderungen erfüllen.

 

Für eine wirklich glaubwürdige EU-Taxonomie dürfen diese Kriterien aber nicht verwässert werden. Atomkraft und fossiles Gas als „nachhaltige Investitionen“ zu klassifizieren öffnet Tür und Tor für Greenwashing. Daher arbeitet Österreich gerade intensiv daran, das zu verhindern.

 

Frau Quell, was haben die Geldgeber*innen davon, sich mit ökologischen und nachhaltigen Qualitäten auseinanderzusetzen?

 

Es ist hinlänglich bekannt, dass nicht nur klassische Finanzindikatoren den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen reflektieren. Auch Nachhaltigkeitsaspekte haben einen wesentlichen Einfluss auf das Risikoprofil und somit die Bewertung von Unternehmen, und finden deshalb in einer gesamtheitlichen Analyse ihren Niederschlag. Allerdings sind im Sinne der Nachhaltigkeit nicht nur ökologische Faktoren zu berücksichtigen, sondern genauso soziale Kriterien sowie die Unternehmensgebahrung. Insofern gewährleistet eine vollständige Integration nachhaltiger Aspekte in die fundamentale Finanzanalyse eine möglichst akkurate Unternehmensbewertung.

 

Herr Sengelin, wird es bei der EU Taxonomie einen Stufenplan zur Umsetzung der Richtlinien geben? Wird sie sich auf die Baugesetzgebung auswirken?

 

Der erste delegierte Rechtsakt zum Klima ist bereits ab dem 1. Jänner 2022 anwendbar. Er legt Kriterien für wirtschaftliche Tätigkeiten fest, die einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an den Klimawandel leisten.

 

Ein Ziel der Taxonomie-Verordnung ist es, dass Finanzmarktakteure sowie große Unternehmen verpflichtet werden, ihre taxonomierelevanten Umsätze und Investitionen offenzulegen. Diese Offenlegungspflichten werden stufenweise angewendet. Seit 1. Jänner 2022 müssen für den Berichtszeitraum 2021 qualitative Informationen und Informationen über den Anteil der taxonomiefähigen Tätigkeiten im Verhältnis zu den gesamten Tätigkeiten offengelegt werden.

 

Die Berichtspflichten betreffen aktuell nur Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen, die im öffentlichen Interesse stehen. Im Rahmen der Überarbeitung der NFI-Richtlinie wird sich dieser Fokus auf alle großen Unternehmen sowie alle börsengelisteten Unternehmen (mit Ausnahme gelisteter KMU) ausdehnen.

 

Ein direkter Effekt der EU-Taxonomie auf die Baugesetzgebung ist in der Verordnung nicht integriert. Denkbar sind indirekte, mittelfristige Effekte etwa Effekte bei der Wohnbaufinanzierung, bei Fonds, Wohnbauförderung, Haftungen, o.ä.

 

Herr Sengelin, was bedeutet das für die Planungsbüros?

 

Mit der EU-Taxonomie wurde ein Instrument geschaffen, das Investor*innen, Unternehmen und Projektträgern dabei hilft, ihre Immobilien oder wirtschaftlichen Aktivitäten an den Kriterien der Nachhaltigkeit auszurichten. 

 

Im Rahmen der EU-Taxonomie gibt es für die Ziele im Bereich Klimaschutz und Klimawandelanpassung für das Bauwesen unter anderem Kriterien zu den Themen Neubau und Renovierung von Gebäuden. Bei Neubauten sowie der Renovierung steht die Energieeffizienz von Gebäuden im Vordergrund, bei Neubauten großer Gebäude müssen auch Lebenszyklusaspekte berücksichtigt werden. Außerdem sollen sowohl bei Neubauten als auch bei Sanierungen Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels – wie Hitzeperioden oder Wetterextreme – implementiert werden.

 

Frau Quell, wie ist die Lage bei den Auftraggeber*innen? Haben Sie hier schon konkrete Erfahrungswerte?

 

Im Rahmen der EU Taxonomie sind mit Beginn des Jahres 2022 die ersten beiden Ziele – Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel – in Kraft getreten. Es wurden umfangreiche Adaptierungen von Dokumenten auf neue vorgeschrieben Formate durchgeführt. Für Produkte, die als Art. 8 und Art. 9 Produkte klassifiziert wurden, wurden umfassende Ausführungen veröffentlicht. Das Datenmanagement wurde erweitert sowie Investmentprozesse sowie Prozesse im Risikomanagement angepasst. Die EU Taxonomie verlangt eine Vielzahl an neuen Informationen, welche von börsennotierten Unternehmen zur Verfügung gestellt und von Finanzmarktteilnehmern verarbeitet werden müssen. Anfang 2023 wird mit Inkrafttreten der restlichen vier Umweltziele der EU-Taxonomie die Berichterstattung entsprechend erweitert.

 

Herr Sengelin, das Umdenken unseres Wirtschaftsmodells in Richtung Kreislaufwirtschaft ist zurzeit ein ganz heiß diskutiertes Thema. Welche Rolle spielt die „circular economy“ bei der EU Taxonomie?

 

Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft stellt eines der insgesamt sechs Umweltziele der EU-Taxonomie dar. Die weiteren fünf Ziele sind Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

 

Im Gebäudebereich sind dafür genaue Kriterien definiert. Beispielsweise müssen mindestens 70 Prozent der Bau- und Abbruchabfälle auf Baustellen für die Wiederverwendung, das Recycling und die sonstige stoffliche Verwertung vorbereitet werden. Darüber hinaus müssen das Gebäudedesign und die Bautechniken die Kreislaufwirtschaft unterstützen. Das bedeutet, sie müssen so geplant sein, dass sie ressourceneffizienter, anpassungsfähiger, flexibler und zerlegbar sind, um Wiederverwendung und Recycling zu ermöglichen.

 

Frau Quell, was ist für Sie ein „gesundes Gebäude“?

 

Gebäude sind einer der größten Emittenten von CO2-Emissionen, und somit ein logischer Anknüpfungspunkt der EU Taxonomie, um diesen Effekt sichtbar zu machen und eine Verbesserung herbeizuführen. Ein nachhaltiges Gebäude minimiert seinen negativen Einfluss auf die Umwelt bzw. trägt im Idealfall sogar zur Verbesserung des Ökosystems bei. Mit dem Einsatz nachhaltiger Technologien und Materialien können Gebäude ihren Verbrauch von Wasser, Energie und anderen Ressourcen optimieren und sind somit eine wesentliche Komponente bei der zukunftsweisenden Planung von Städten und Gemeinden.

 

Frau Quell, Herr Sengelin, was wird die größte Veränderung sein, die in den kommenden Jahren auf die Planungs- und Baubranche zukommt?

 

Magdalena Quell: 

Aus der Sicht von Investoren bzw. Kapitalgebern ist mit Sicherheit ein deutlich gestiegenes Maß an benötigten Informationen, die offenzulegen sind, zu nennen. Die technischen Bewertungskriterien, die eine Beurteilung der Nachhaltigkeit i.S. der EU Taxonomie erforderlich macht, sind oft sehr granular und erhöhen die Handlungskomplexität. Die Betrachtung erfolgt zunächst auf Ebene des einzelnen Objekts. In Summe müssen große Datenmengen generiert und verarbeitet werden, hierfür muss eine passende Infrastruktur und Prozessstruktur zur Verfügung stehen.

 

Stefan Sengelin:

Der Bauwirtschaft kommt im Klimaschutz besondere Bedeutung zu – beim Neubau oder der Sanierung werden Entscheidungen für die nächsten Jahrzehnte getroffen. In der EU sind Gebäude für 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Daher ist die Bau- und Immobilienindustrie auch einer von sieben Sektoren, die in der EU-Taxonomie enthalten sind.

 

In Zukunft werden wohl auch die vier verbleibenden Umweltziele der EU-Taxonomie (nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und Ökosysteme) Kriterien für die Bau- und Immobilienindustrie beinhalten. Es ist zu erwarten, dass auch das proaktive Management von Themen wie Wassernutzung, Flächenversiegelung und Schutz einheimischer Arten bei Bauvorhaben, die laut EU-Taxonomie als nachhaltig gelten sollen, eine Rolle spielen wird.

 

Vielen Dank für das Interview.